Ich und der Tango: Anfangs der 80iger hat mein Vater den Tango entdeckt. Ich war als Teenager immer dabei und fand die Sache ziemlich albern. Mit 18 hat mich der Tango, ganz unerwartet, selber mit voller Kraft erwischt. Seither habe ich viel getanzt und ausprobiert, habe geführt und bin gefolgt, habe gelernt und unterrichtet, bin aufgetreten, habe Musik aufgelegt, Anlässe organisiert, habe die Lust verloren und wiedergewonnen. Es sind in dieser Zeit viele Menschen und Moden aufgetaucht und wieder verschwunden. Von Allem ist etwas hängengeblieben und hat meine Art zu tanzen und zu unterrichten geprägt.
Me and Tango: In the beginning of the 80s my father discovered Tango for him. As a teenager he dragged me along but i found the dance rather silly. When I was 18 years old, Tango got hold of me unexpectedly with a vengeance. Since then I‘ve danced and experimentalized a lot; I took the lead and followed; I trained others and got trained; I did performances, was Dj‘ing, organized events; I lost my joy in it and recovered it again. In all that time many people have come and gone, many styles have come and gone. Something of everything remained with me and shaped my way to dance and to teach.

Fotos von Peter Tillessen, Gianni Paravicini, Armin Kratzel, Leonhard Jaschke, Marius Brun Del Re, Michael Eggen, Shawn Koppenhoefer, Thomas Gallmann, Vreni Spieser, Alice Jaeckel, Dinotronic und unbekannten.




TangoDanza April 2018


LIFE IN A MOMENT

Jasmine Truong geht in ihrem Kurzfilm aus dem Jahre 2016 der Frage nach, warum sich der Tango innert fünf Jahren so abrupt gewandelt hat, vom experimentellen Tango Nuevo mit seinen ausladenden Bewegungen zu einem ruhigen und introvertierten Stil. Im Interview sind Mariano Frumboli mit Blick auf die internationale und Karin Schneider mit Blick auf die zürcher Tangoszene.


EIN NACHRUF AUF 1000 MAL TANGO IM DYNAMO

Angefangen hatte es Anfangs Neunziger in der besetzten Kulturfabrik Wohlgroth in der ich zu dieser Zeit lebte. Rolf, mein Vater hatte mich eines Tages angesprochen ob wir nicht einen Tangokurs in der Wohlgroth machen sollen. „Spinnst Du Papi, wir machen hier Pogo, keinen Tango…“. Die Idee hatte aber dennoch die Runde gemacht und eines Tages sprachen mich ein paar Leute an, dass sie das jetzt doch gerne ausprobieren möchten (es sei ihnen zwar egal ob es Walzer oder Tango sei, Hauptsache eine Abwechslung zum Punk). Also wurden die Docs gegen Stilettos getauscht und die Kaputzenpullis gegen zerknautschte Anzüge aus dem hausinternen Brocki, eine super Sache!
Bald hatte sich der Kurs so etabliert, dass er viele Leute von aussen anzog. Es gab zusätzlich zum Kurs eine Milonga in einem Kellerraum in den man nur kletternderweise durchs Fenster gelangte, was zum Teil ein ziemliches Unterfangen war, da wir öfters übertrieben aufgebrezelt mit Stögis, geschlitzten Kleidern und Federboas aufkreuzten. Die Musik war uns weitgehend egal, so hatten wir lange Zeit nur eine einzige Kassette, DIE Kassette!!! die wir nonstop drehten; Nada von Di Sarli war drauf, El Flete von D’Arienzo, Yuyo Verde von Pugliese und sicher ganz viel Piazzolla.
Im November '93 wurde das Areal von einem Grossaufgebot der Zürcher Polizei geräumt, es gab Feuer und Barrikaden auf den Strassen, die Polizei-Helikopter kreisten über dem Gelände, wir tanzten Tango in den Kellergewölben, viele weinten. Auch Eduardo Arquimbau war an diesem Abend da, ein echter argentinischer Maestro, das fand ich sehr cool! Er übrigens auch.
Manu Piasente mit dem ich damals tanzte, hatte sich nach der Räumung mit dem Tangokurs auf Wanderschaft gemacht, erst zum Kunsthaus Oerlikon an der Konradstrasse, dann weiter ins Dynamo.
Der Wechsel ins Dynamo empörte mich, war das Dynamo für mich doch ein Paradebeispiel für einen einst autonomen, jetzt staatlich zurechtgestutzten Ort, an dem Sozialarbeiter zu kreativen Aktivitäten ermuntern. Deshalb tauchte ich für eine Weile ab.
Irgendwann konnte ich es jedoch nicht mehr lassen und habe meine Nase ins Dynamo reingesteckt. Es war sehr spannend! Der Raum war brechend voll, es gab viele neue gute Tänzer, die ich noch nie gesehen hatte, eine komplett neue Generation. Luca Valeri war einer dieser Tänzer. Er verkörperte für mich ein völlig neues Bild von einem Tangotänzer, mit Trainerjäckchen statt Anzug und völlig losgelöst von Konvetionen und Vorschriften was man im Tango darf und was nicht. Es schien, als würde er endlos neue Ideen aus sich selber schöpfen. Er war sehr faszinierend und überhaupt nicht nett zu mir… Aber ich wollte dabei sein und habe deshalb im Dynamo angefangen das Führen zu lernen.
Manu hatte am Anfang alleine oder mit wechselnden Partnerinnen unterrichtet, dann ist Nina Scheu dazugekommen. Die beiden haben den Kurs viele Jahre geleitet und damit die Zürcher Tangoszene sehr geprägt. Viele Wege haben sich im Dynamo gekreuzt, wie zum Beispiel die von Carol und Alexander… und alle sind Karel begegnet weil er tausend Mal da war! Das Dynamo war Plattform für die versuchte Tango–Lindy Hop Fusion Ende Neunziger und Herberge für die legendären Zürcher Tangowochen, in denen viele interessante Kurse und schöne Veranstaltungen stattfanden und die Leute zwischen den Kursen ganz hochsommerlich gelaunt in die Limmat hüpften während derweil jemand ihre Tanzschuhe klaute…
Manu und Nina haben sich zu dieser Zeit mehr und mehr aus dem Tango zurückgezogen und schliesslich den Dynamo-Kurs an Luca abgetreten, der zuerst mit Pamela Pabst und dann einige Jahre alleine unterrichtet hat, bis ich ungefähr '08 eingestiegen und somit am Anfang und am Schluss der Geschichte dabeigewesen bin.

 

Karin Schneider 2015


AUSSCHLUSS AUS DEM TANGO 2021

 

Als dieses Foto gemacht wurde, war ich 18 Jahre alt. Zehn Jahre später, mit 28, war ich immer noch eine begeisterte Tangotänzerin, wie auch mit 38.

Im November, zwei Tage vor der Abstimmung über das Referendum zum Covidgesetz, werde ich 48 Jahre alt, und noch immer begleitet mich der Tango. Er prägt die Art und Weise, wie ich die Welt sehe. Er ist Teil meines Wesens. Es ist neu für mich, ausgeschlossen zu sein.
 
Seit die Erweiterung der Zertifikatspflicht Mitte September unter Freudengeheul der Befürworter eingeführt wurde, darf ich meine eigenen Kurse nicht mehr besuchen. Innerhalb einer Woche habe ich vier Jobs verloren. Das war hart. Der Start meines geschlossenen neuen Kurses wurde mit hämischen Kommentaren begleitet.
 
Für viele geimpfte Tangotänzerinnen und Tangotänzer ist der Zustand der Normalität wieder eingekehrt. Es fällt ihnen nicht auf, dass Leute in den Milongas fehlen. Sie sind erstaunt, wenn ich ihnen erkläre, warum ich keine Veranstaltungen besuchen darf und empfehlen mir mit mitledigem Lächeln, mich impfen zu lassen. Um wieder dabei sein zu können. Das ist absurd.
 
Ich bin keine Tangokonsumentin, sondern eine Mitgestalterin der hiesigen Szene.
Tangotänzerin zu sein, ist für mich eine Haltung; eine aufnehmende, keine ausschliessende. Und eine wilde und freie, keine staatlich reglementierte. Genau in diesem Sinne werde ich den Tango weitertragen.

 

Oktober 2021